„Das rote Buch war nur Maos Tweetsammlung“ – @garamsalami

Houston, TX

Posted: Juli 6th, 2023 | Author: | Filed under: Prosa | No Comments »

wann kommst du nach hause?

, stand auf dem Display. Selbst bei höchster Helligkeitseinstellung konnte ich die Buchstaben kaum entziffern, wenn ich mein Handy in genau dem richtigen Winkel hielt, im Schatten meiner freien Hand, unter der brennenden Sonne, die alles in einem gleißenden Licht ertränkte, bis hin zum Farbenspiel der flirrenden Luft am Horizont über dem stinkenden Asphalt, der mich umgab. Weit und breit gab es hier keinen Schatten, es sei denn ich würde mich unter ein geparktes Auto legen, doch würde ich mir davor auf allen Vieren am Boden die Hände verbrennen wie Spiegeleier, gebraten auf einem heißen Motorblock. Ich nahm kurz meinen Hut ab, um mir damit den Schweiß von der Stirn zu wischen, und machte mich weiter auf die Suche. Die Augen vor der Sonne Schutz suchend auf den grauen Boden gerichtet, orientierte ich mich an der Regelmäßigkeit der in weißer Farbe markierten Parklücken, in denen die verschiedensten Gefährte aller Gattungen standen. Limousinen, Pickups, Coupés, Trucks, Sportwagen, hin und wieder sogar ein Motorrad, in allen Farben des Regenbogens, aber meistens blau oder grau, matt, metallic, glänzend, verstaubt.

hast du die nachrichten gesehen?

Ich weiß nicht wie lang ich gelaufen war, da hielt ich vor einem weißen Porsche inne. Eine schlanke, kurvige Figur, gestützt auf 4 brandneuen Sportreifen, die keine Abnutzung erkennen ließen, als wäre er neu behuft worden. Ich legte meine Hand auf seine harte Haut, die trotz der massiven Hitze gerade noch kühl genug war, mich nicht mit einem sofortigen Schmerzreiz zurückschrecken zu lassen. Das brilliante weiß reflektierte die Photonen des gesamten Farbspektrums, ohne deren Energien als Wärme aufzunehmen, die vor 8 Minuten durch Kernfusion von der Sonne losgeschickt wurden. Ich klopfte dem Porsche bestätigend aufs Dach, ließ ihn wissen, dass er seine Sache gut machte, und wanderte weiter zwischen Parkplätzen, Laternen und Fahrzeugen.

Hin und wieder ließen die Bodenmarkierungen eine Art Kreuzung erkennen, angedeutet durch Pfeile, Buchstaben und gestrichelte Linien, aufgemalt auf den Asphalt. Ich hatte schon einige von ihnen passiert, bevor ich damit anfing zu versuchen, mir die Abfolgen der Buchstaben zu merken, die zur Orientierung dienten. Ich begann bei F, doch folgte darauf nicht G, und danach auch kein H. Angekommen bei N vermutete ich also, dass das Alphabet rückwärts laufen könnte, doch das M ließ auch nach mehreren Kreuzungen noch auf sich warten. Vielleicht verläuft die Ordnung diagonal oder jeder zweite Buchstabe wird übersprungen, waren meine nächsten Theorien, doch ich verlor nach wenigen Biegungen den Faden. Auch Worte formten die Buchstaben nicht, stellte ich nach ELRHSX fest. Ich hatte mich wohl verlaufen. Bevor ich das Geheimnis der Buchstaben lösen konnte, lenkte mich ein fernes Hupgeräusch ab.

ungehörte Sprachnachricht

Vor einem Geländewagen der Marke Hummer machte ich Rast, mit den Händen in die Hüften gestützt, und lauschte meinem eigenen Puls in den Ohren. Das Exemplar vor mir war ausgewachsen, fast zu breit für die Parklücke und hoch genug, dass ich kaum über die Motorhaube linsen konnte. Kleine Farbtupfer tanzten in allen Regenbogenfarben auf dem weinroten Lack, wenn ich meinen Kopf langsam hin und her bewegte. Die schwarzen Plastikarmaturen der Ladefläche sonderten einen charakteristisch schmorigen Geruch ab, wie ich ihn auch von anderen Arten kannte. Die Hitze brannte sich in meine Finger, als ich mich daran hochzog, so viel Hitze hatte das Material von der Sonne durch seine Farbe, oder die Abwesenheit dieser, geschluckt. Meine Hände hatten jetzt fast die selbe Farbe, wie der Hummer, auf dem ich stand und mich umsah. Auch von hier oben sah ich nichts neues.

Nachdem ich mich fertig erbrochen hatte, setzte ich meinen Weg fort. Wenig später begegnete ich zwischen A und Z einer alten Dame, wir grüßten uns freundlich, bevor sie Richtung A verschwand. Keine 100 Meter später fiel mir ein glänzender Gegenstand ins Auge, kaum größer als ein Duftbaum am Rückspiegel: Ein Autoschlüssel. Ich fischte ihn vom Boden, darauf bedacht dabei nicht den kochenden Asphalt zu berühren, dessen Dämpfe in der Nase brannten. Er musste der alten Dame gehören, dachte ich, und blickte ihr hinterher, doch sie war zwischen den endlosen Parkreihen verschwunden. Ich wollte ihr folgen, doch das stellte sich nach mehreren Kreuzungen und Umdrehungen als zwecklos heraus. Keine Chance herauszufinden, in welche Richtung sie gelaufen war. Wie ein Trottel stand ich da und begutachtete den Schlüssel in meiner Hand, verziehrt mit einem Mitsubishi-Logo. Eher aus nervöser Spielerei als mit ernsthafter Hoffnung drückte ich auf den Entsperrknopf, doch tatsächlich hörte ich das bejahende Japsen eines Autos, nicht weit weg. Immer wieder ver- und entriegelte ich den Wagen, um mich wie eine Fledermaus an ihn heranzuhorchen, bis sie schließlich mit blinkenden Lichtern vor mir stand, die braune Limousine Marke Mitsubishi. Weit und breit war niemand zu sehen, nur klebriger, rissiger Asphalt, zerlaufende, weiße Markierungen, und eben die Autos, die diesen Ort ihren Lebensraum nannten. Ich riss meinem neuen Fahrzeug die Flanke auf und sank in seine aufgeheizten, gepolsterten Innereien. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, verweigerte meine Lunge das Einatmen der heißen, stehenden Luft, in der man einen Hund oder ein Kleinkind backen könnte. Ich kurbelte das Fenster neben mir herab und streckte den Kopf heraus, während ich geübt mit einem flüßigen, sanften Stoß den Schlüssel in die Zündung einführte. Motor an. Klimaanlage an. Ich sackte in meinem Sitz zusammen und lauschte mit geschlossenen Augen den schnurrenden Kolben in den Zylindern beim arbeiten, wie tausende Herzschläge pro Minute.

5 verpasste Anrufe

Das GPS lotste mich nun schon eine Weile umher, links, rechts, rechts, links, in 100 Metern, manchmal in 500, immer in Bewegung, vorbei an stehenden Artgenossen. Kaum auszumalen, welche Temperaturen unter der Motorhaube herrschen mussten, doch der Fahrtwind und die Klimaanlage verdunsteten den Schweiß auf meiner Haut und kühlten mich gerade genug, um nicht bewusstlos zu werden. Ich hatte gerade eine Kurve bei D genommen, da versagte plötzlich der Motor, erstickt an einem Mangel an Treibstoff. Die Tankanzeige stand auf E, empty. Der Wagen rollte noch ein paar Meter leise aus, das Motorgeräusch ersetzt durch das Kleben von Gummi auf dem Straßenbelag, und blieb liegen, genau neben einer einsamen Zapfsäule. „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Ich stieg aus dem wehrlosen Kolloss, wo er zusammengebrochen war, nahm die Tankpistole und führte das Rohr zitternd an seine Lippen, die sofort gierig und dankbar zu schlucken begannen, bis er voll war.

Als ich mich gerade zur Säule zurückdrehte, rollte ein schicker silberner Tesla heran, geräuschlos in gemächlichem Schritttempo, fast wie mein Mitsubishi eben, nur mit Elektroantrieb. Selbstfahrend, kein Mensch am Lenkrad, die neue Generation, die nächste Stufe der Evolution. Vollkommen überflüssig saß auf dem Rücksitz eine fleischige Person und lächelte mich müde an. Neugierig trat ich an ihr Fenster heran und beugte mich zu ihr hinab. Unsere Gesichter waren kaum 10 Centimeter voneinander entfernt, nur getrennt durch die Scheibe, doch so nah am Glas legte sich nur mein Spiegelbild wie ein verzerrender Filter über den dunklen Innenraum des Teslas. Ich begutachtete mein krebsiges Gesicht, Augen rot, Nase verbrannt, Lippen rissig, und fragt mich, ob ich noch der selbe Guy war. Da zog das selbstfahrende Auto auch schon wieder ab und unsere Blicke verloren sich. Mein Mitsubishi und ich waren wieder allein.

Auf der langen Gerade tickte der Kilometerzähler alle zwei Minuten nach oben, regelmäßig wie der Takt eines Technotracks, der über das Blech eines Honda Civics vibriert. Links und rechts zogen die Parklücken vorbei, in denen ich meinen neuen Freund gefunden hatte. Der weiße Porsche, der rote Hummer, die alte Frau, der selbstfahrende Tesla, schienen mir jetzt schon ferner als der wütende gelbe Ball am Himmel, der uns alle bei lebendigem Leib grillte.

ich warte auf dich an unserem treffpunkt. ich liebe dich

Der Kilometerzähler klickte leise, noch einmal, noch einmal, plötzlich explodierte er in einem markerschütternden Grollen, das Mitsubishi und mir die Gedärme durchrüttelte. Vollbremsung. Ein harter Ruck nach vorn. Wie in Zeitlupe erhob sich am Horizont der Asphalt, wölbte sich erst wie ein sanfter Hügel, schwoll dann an zu einer kilometerhohen, grauen Pestbeule, welche die parkenden Autos mit ihrem steten Wachstum anhob, als würden sie zum Himmel fahren. Es schepperte und rumorte die ganze Welt wie ein kollabierendes Hochhaus, als würde es den Erdkern vor meinen Augen aus dem Planeten reißen. Um mich herum begann es Stahl zu regnen, fliegende Autos zerschmetterten wie Wurfgeschosse ihre Artgenossen und verwandelten die Luft die ich atmete in einen Blizzard aus Metall, Kunststoff und Glas. Ich schaltete in den Rückwärtsgang, den Blick starr auf das Schauspiel fixiert. Kaum zu sagen, wie weit vor mir der Asphalt sich aufblähte, fehlte in der Umgebung doch jegliche Größenreferenz. Von irgendwoher heulte einsam eine Tornadosirene eine zwecklose Warnung. Wie eine sich füllende Lunge wuchs der graue, vertrocknete Pickel weiter und weiter, bis er gänzlich die Windschutzscheibe ausfüllte und bald das einzige war, was ich sehen konnte. Ebenso plötzlich wie er entstanden war, hielt der teerene Tumor für einen Moment inne, ähnlich wie wohl die Titanic im Moment des kommenden Zerbrechens. Die Luft war dick und verheißungsvoll, eine Taube stieg von ihrer Laterne in den blutroten Himmel empor. Die spröde Asphalthaut konnte dem inneren Druck nicht mehr standhalten, und der Kawenzmann platzte, als hätte Gott selbst ihn ausgedrückt. Explosionsartig ergoss sich schwarzer, klumpiger Eiter aus allen Poren des Ungetüms, das in einem Tsunami seines eigenen Saftes wieder in sich kollabierte, der mit seiner Macht unweigerlich den Planeten umrunden musste. Ich gab mich keiner Sekunde der Illusion hin, dass an der Erdoberfläche etwas von der Menschheit übrig bleiben würde. In diesem Moment blickte ein Astronaut von der International Space Station hinab und beobachtete, wie schwarze Meere auf der ganzen Welt emporsprudelten. Die Rationen reichten noch für zwei Wochen.


Comments are closed.