„Das rote Buch war nur Maos Tweetsammlung“ – @garamsalami

[Repost 2019] Gedanken, die sich Weiße nach den Landtagswahlen nicht machen müssen

Posted: September 18th, 2021 | Author: | Filed under: Essay, Politik | Tags: , , , , , , | No Comments »

Die Bildung einer rechten Bundesregierung scheint realistischer denn je. Für BIPoC in Deutschland ist das eine existentielle Bedrohung.

Lesezeit: ~3 Minuten

Content Notes: Faschismus, Rechte Terroranschläge, Abschiebung, Völkermord

[Diesen Text habe ich 2019 nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen für die Süddeutsche Zeitung geschrieben. Die zuständige Redakteurin hat sich zur Veröffentlichung mehr Offenlegung meiner individuellen Rassismuserfahrungen gewünscht, was ich als unvereinbar mit der strukturellen Kritik des Textes betrachte. Eine weitere Zusammenarbeit zwischen der Süddeutschen Zeitung und mir gab es nicht.

Während ich heute, fast exakt 2 Jahre später meinen flehenden Appell an weiße Menschen und den Mangel eines Durchschauens bürgerlicher Faschismusnähe für naiv halte, behält der Text als Dokument der emotionalen Auswirkung von Wahlergebnissen, gerade so kurz vor der Bundestagswahl 2021, seine Relevanz.]

Am 1. September 2019 fanden in Brandenburg und Sachsen, zwei Bundesländern mit einem Ruf der politisch rechten Radikalität und wirtschaftlicher Rückständigkeit, Landtagswahlen statt. Während CDU und SPD in beiden Wahlen unterschiedlich abschnitten, sind 2 Parallelen aus den Ergebnissen ersichtlich: Etwa ein Viertel der Wähler stimmte für die rechtsradikale Partei AfD, während nur knapp unter 20% für links ausgerichtete Parteien ihr Kreuz machten.

Wie soll es jetzt für mich in diesem Land weitergehen? Ich habe Angst und muss hinterfragen, ob jede vierte Person auf der Straße ein Nazi ist und mich nicht in diesem Land haben will. Das weltweite politische Klima scheint zu kippen und immer mehr weiße Personen dem Faschismus zu verfallen. Das Potential scheint in ihnen zu stecken.

Donald Trump verwendet rassistische Dogwhistles wie die OK-Geste, die von Internettrollen als Symbol für „White Power“ angeeignet wurde, wenn er über seine Widersacherin Alexandria Ocasio-Cortez spricht, der er auch eine Ausreise aus den USA nahegelegt hatte. Nicht einmal 3 Wochen später erschüttern innerhalb von 24 Stunden zwei Gewalttaten die USA: In El Paso, Texas und Dayton, Ohio sterben bei Terroranschlägen, verübt von weißen cis Männern, insgesamt 31 Menschen, die meisten von ihnen hispanic oder Schwarz. Man kann nur spekulieren, inwiefern sich die Täter von Donald Trumps Rhetorik bestärkt fühlten, als sie ihre Opfer aussuchten, doch an einem Klima von Rassismus und Ausgrenzung in seinem Land hat er ohne Zweifel mitgewirkt.

Auch in Deutschland werden neuerdings schwarze Menschen auf der Straße erschossen, müssen sich für Gewalttaten anderer Schwarzer rechtfertigen und Nazis begehen Anschläge auf unliebsame Politiker. Pöbeleien und Übergriffe, die es nicht in die Medien schaffen, sind Tagesordnung.

Schwarz zu sein fühlt sich gerade dystopisch an. Die Weiße Vorherrschaft legt weltweit, Land für Land, ihren Deckmantel ab. Die Bildung einer rechten Bundesregierung in Deutschland scheint möglicher denn je. Ich sag es wie es ist: Im Land des NSU, CDU/CSU, AfD, IB, Combat18 und einer komplett untätigen Linken wird das Leben für alle rassistisch marginalisierten Gruppen in letzter Konsequenz unmöglich werden, wenn Weiße nicht endlich aufwachen und dagegen aufstehen.

Wie sieht dieses Ende meines Lebens in einem faschistisch regierten Deutschland aus? Werde ich abgeschoben in ein Land, das ich nur aus dem Urlaub kenne, weil meine Wurzeln dort liegen? Muss ich mich an einem fremden Ort zurecht finden, dessen Sprache ich nicht spreche, getrennt von allen meinen weißen Freunden, die es nicht geschafft haben, diese Situation zu verhindern? Wie soll mich ein Deutschland vor diesem Szenario schützen können, in dem ich auf Anti-Abschiebungsdemos mit nur 50 Teilnehmer*innen war?

Ist es naiv von mir, keinen Plan B zu haben? Ich möchte Deutschland nicht verlassen und ich möchte Menschenrechte hier nicht aufgeben. Manchmal fühlt es sich so an, als würde ich deshalb mit meinem Leben spielen. Als ausgesprochener politischer Gegner derer, die uns morgen schon regieren könnten, leide ich bereits unter Einschüchterungen und Drohungen, die sich dann in staatliche Repression umwandeln könnten. Ich möchte gegen faschistische Strukturen Widerstand leisten bis zum Schluss, aber muss es denn wirklich mein finaler Akt des Trotzes sein, wenigstens den Staat mit der Logistik meiner Ermordung zu belasten?

Diese Gedanken sind für Weiße komplett unnachvollziehbar und doch plagen sie mich jedes Mal, wenn wieder etwas unvorstellbar Rassistisches passiert, was in der breiten Gesellschaft keinerlei aktivistische Reaktion erzeugt. Bitte, liebe Weiße, sorgt dafür, dass meine Gedanken absurde Fantasie bleiben und sich nie erfüllen, denn alleine schaffe ich das nicht. Wie in so vielen Dingen ist es gerade 5 vor 12 und ihr schlaft noch.


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