Buch schreiben Tutorial
Posted: Dezember 7th, 2023 | Author: garamsalami | Filed under: Essay, Politik | Tags: analyse, gesellschaft, imperialismus, leistungsverweigerung, manifest | No Comments »Lesezeit: ~6 Minuten
In einer Woche erscheint endlich mein Manifest “Leistungsverweigerung!”, an dem ich die letzten drei Jahre geschrieben habe. Viele von euch wissen schon lange, dass ich an eben einem solchen „Manifest“ schreibe und ich freue mich, dass dies alleine bei ein paar von euch bereits Interesse geweckt hat, obwohl die Zielsetzung des Buchs in meiner öffentlichen Kommunikation bisher vage blieb. Für einige Menschen, inklusive mir selbst, wird sich jedoch auch die berechtigte Frage stellen, welchen Wert dieser weitere tausender Texte darüber, dass Kapitalismus schlecht ist, für die Leser*innen haben wird. Um die Erwartungen an die bald veröffentlichten 127 Seiten realistisch zu halten, möchte ich hier vorab den Schreibprozess beleuchten, der über Jahre hinweg Zielsetzung und Umfang der „Leistungsverweigerung!“ geformt hat.
Vor drei Jahren war ich ein anderer Mensch: Ein absurdistischer Comedian von Nischen-Prominenz, den man nur dafür kannte, dass er immer wieder weiße Deutsche pauschal als Nazis bepöbelte. Zwar war ich nie unpolitisch und hätte mich immer schon als „links“ bezeichnet, doch meine politische Ideologie war kaum nuancierter als „Rassismus = schlecht“ und „Arbeiten gehen = scheiße“, so valide diese Ansichten auch sind. Plötzlich war ich damit Teil einer linken Öffentlichkeit in Sozialen Medien. Der Karriereweg „linker Promis“ auf X (damals Twitter) kristallisierte sich zu dieser Zeit klar heraus: Reichweite, Kolumne, Buchvertrag, und auch ich sah mich von Fantasien daran verführt. In Privatnachrichten war ich zu dieser Zeit sogar im Gespräch mit einem linken Verlag, wo wir unkonkret über die Veröffentlichung einer Sammlung meiner Tweets fantasierten.
Im Pandemiewinter 20/21 schlug das Unglück zu: Mein Twitteraccount wurde (meiner Meinung nach unrechtmäßig) gesperrt. In den zwei Monaten, die ich ohne mein Sprachrohr zur Welt auskommen musste, in das ich ungefiltert jeden Zwangsgedanken brüllte, begann ich stattdessen, meine Tweets für ein eventuelles Buch thematisch zu ordnen. Neben sonstigen meiner persönlichen Interessen und Befindlichkeiten bildete sich eine klare Liste um die Bereiche „Deutschland“, „Faschismus“, „Kapitalismus“, „Rassismus“. Als ich die zahlreichen Tweets zu diesen Themen gesammelt hatte, begann ich mit dem Verfassen von Einleitungen zu jedem Abschnitt. Innerhalb weniger Nächte wurden daraus ganze Seiten an Fließtext. Der Schreibprozess hatte begonnen.
Was als Tweetsammlung begonnen hatte, war jetzt zu einem eigenen Projekt mit neuen Anforderungen geworden. Hatte ich meine Meinungen und Positionen jahrelang formlos ins Internet herausposaunt, hielt ich mich ab sofort damit zurück, um die Denkarbeit stattdessen in die Strukturierung des Textes zu stecken, der bald „mein Manifest“ werden sollte. Ich kann mich nicht an den konkreten Zeitpunkt erinnern, aber relativ schnell war für mich klar, dass dieses Buch die Gesamtheit meines politischen Denkens umfassen sollte. Es nahm und nimmt für mich die Wichtigkeit eines Lebenswerks ein, der Zielpunkt, das Ergebnis aller meiner bisherigen Erlebnisse und Erfahrungen.
Einer meiner ersten Arbeitsschritte war die Einteilung meiner Ideen in die Gliederung von „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“. Viele meiner Tweets bezogen sich auf historische Fakten zu den Nazis und dem Mythos der „Entnazifizierung“, womit ich Deutschen heute natürlich eine geistige Nähe zum Faschismus unterstellen wollte. So ergab sich der Erzählstrang, den ihr nun in „Leistungsverweigerung!“ lesen können werdet: Ich möchte eine klare Linie von den Königen und Kaisern der Vergangenheit zu unserer Gesellschaft heute ziehen, die nie unterbrochen wurde. Geschichte ist eine konkrete Entwicklung aus klaren Umständen und nicht nur ein Katalog aus zufälligen Ereignissen. Damit alle Leser*innen auf dem selben historischen Wissensstand sind, rekapituliere ich deshalb diese Entwicklung ausgiebig. In „Gegenwart“ analysiere ich, wie sich unsere „Vergangenheit“ immer noch klar auf unser Denken heute auswirkt. Hier wird also primär gemeckert, was alles scheiße läuft. Damit es nicht dabei bleibt, versuche ich in „Zukunft“ klare Ideen zu formulieren, wie wir gegen die „Imperialistische Gesellschaft“ ankämpfen können. Diese Gliederung stand von Beginn und der gesamte Schreibzprozess hat sich an ihr orientiert.
Mein Workflow war natürlich bestimmt von meiner psychischen Krankheit. Obwohl ich die Arbeitszeit als „drei Jahre“ angebe, habe ich in dieser Zeit wahrscheinlich nur wenige Wochen aktiv geschrieben, und dann in tagelangen Schüben unter Vernachlässigung von Essen und Schlaf. Meist laborierte ich mental monatelang an Gliederungen von Textabschnitten, doch sobald der Knoten platzte, beendete ich ganze Kapitel, so schnell ich sie tippen konnte. Immer wieder notierte ich mir in Apps am Handy oder direkt im Dokument Geistesblitze, nur um ihre Bedeutung ein Jahr später nicht mehr entschlüsseln zu können, oder ich machte Themen auf, die eines eigenen Buches bedürften.
Als im Februar 2022 der Ukrainekrieg begann, war „Leistungsverweigerung!“, damals noch mit dem Arbeitstitel „Die Imperialistische Geselschaft“, in seiner gröbsten Form wahrscheinlich schon so gut wie vollendet. Trotzdem sollte es bis zur Fertigstellung noch fast zwei Jahre dauern, denn mich packte ein tiefer Nihilismus: Wozu für eine bessere Welt schreiben, wenn sowieso jeden Moment die Atombomben einschlagen? Die Bomben fielen nicht, doch der Nihilismus blieb. Monatelang stocherte ich nur in meinen Notizen herum, wenn ich mich überhaupt zum Öffnen des Dokuments bewegen konnte. Die Kriegsbegeisterung, die unkontrolliert steigenden, in Kauf genommenen Todeszahlen der Pandemie, gaben mir das Gefühl, meine komplette Arbeit bisher ungültig gemacht zu haben. Sie fühlten sich wie grundsätzliche Veränderungen in der Funktion unserer Gesellschaft an, die ich ohne Hellsehen nicht in meinen Schriften berücksichtigen konnte.
Bis zu diesem Zeitpunkt des Schreibprozesses hatte ich in asketischer Armut gelebt. Jeden Lebensmitteleinkauf tätigte ich in dem Wissen, dass es der letzte für eine lange Zeit sein würde. Wurde ich einmal zum Essen eingeladen, kam dies einem Lottogewinn gleich. Die Hürde des bürokratischen Dschungels für Arbeitslosengeld war mir mit meiner psychischen Erkrankung unüberwindbar, bis es entgegen aller Widrigkeiten mit der Unterstützung durch meinen Sozialarbeiter im Winter 22/23 dann doch klappte. Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben habe ich stabile Finanzen.
Es ist zwar logisch, aber trotzdem kaum nachzufühlen, wie viel Platz Armut im Gehirn einnimmt. Mit der ersten Überweisung meines Arbeitslosengelds kehrte ein tatsächliches Leben statt einem Überleben in mich zurück und ohne jemals bewusst den Beschluss dazu zu fassen, nahm ich die Schreibarbeit wieder auf. Der Abschluss der Reinschrift befasst sich fast ausschließlich damit, bestimmt ein Drittel der halbgaren, unfertigen Ideen zu streichen, mit denen ich nicht zufrieden war, oder deren Fertigstellung mir zu aufwändig erschien. Eine Beendigung des Projekts war für mich zur Priorität geworden, sonst würde ich bis an mein Lebensende weiterschreiben müssen. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen, die mich an meinem langfristigen Überleben zweifeln lassen, spürte ich Druck und historische Verantwortung, „Leistungsverweigerung!“ früher als später zu veröffentlichen.
Zuletzt habe ich den fertigen Text noch in drei aufeinander folgenden Fassungen korrigiert, diese Fassung dann meinem guten Freund Franz zur Korrektur gegeben, und nach seinen Korrekturen ging das Ganze in den Druck. Einen Verlag habe ich leider nicht gefunden, vielleicht weil der Text gar nicht so gut ist, vielleicht aus ökonomischen Gründen, vielleicht weil sie mein Genie verkennen, wer weiß?
Dieser Text hier lässt wahrscheinlich 100 Fragen über das tatsächliche Buch offen, aber ich bin einfach beschissen mit dieser Vermarktung. Ein wichtiger Teil meiner politischen Bildung im Schreibprozess war sowieso die Einsicht, dass die Revolution nicht mit mir und meinen Texten steht oder fällt. Trotzdem freue ich mich auf die Veröffentlichung nächste Woche und hoffe, ein paar von euch vielleicht bei Lesungen zu sehen. Keine Ahnung, wie es jetzt in meinem Leben ohne so eine große Aufgabe weitergehen wird. Aktuell denke ich über eine englische Übersetzung nach. Mal schauen. Lasst gut gehen!