The Long Dark: Wann endet Kapitalismus?
Posted: September 18th, 2021 | Author: garamsalami | Filed under: Essay, Videospiele | Tags: analyse, apokalypse, arma 2, atomkrieg, capitalist realism, children of men, dayz, deus ex, enderal, essay, fallout, fallout: new vegas, finanzkrise, games, gaming, klimawandel, krieg, review, rezension, suizid, the elder scrolls v: skyrim, the long dark, videospiele, weltuntergang | No Comments »Medien sind voll mit Weltuntergangsszenarien, aber wie interagieren echter Kapitalismus und fiktive Apokalypse? Eine Reflexion im virtuellen Norden Kanadas.
Lesezeit: ~12 Minuten
Content Notes: Weltuntergang, Unfruchtbarkeit, Klimawandel, Finanzkrise, (Atom-)Krieg, Suizid
Erwähnte Medien: The Long Dark, Children Of Men, Capitalist Realism, ArmA 2, DayZ, Fallout, Fallout: New Vegas, Enderal, The Elder Scrolls V: Skyrim, Afropessimism, The Walking Dead
Spoiler: Ein optionales Ende von Deus Ex (2001), Gameplay und Schauplätze aus The Long Dark ohne Storykontext
“Es ist leichter sich das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen”. Mark Fisher analysiert im so benannten Kapitel seines Buches Capitalist Realism die Apokalypse des 2006 erschienenen Films Children of Men, einem Zukunftsszenario, in dem keine Kinder mehr geboren werden können. Statt eines plötzlichen Events, das die Menschheit in ihrer Ganzheit auslöscht, wird die letzte Generation still und leise verkümmern. Das Ende der Welt (oder unserer Wahrnehmung davon) naht, doch selbst in einer Welt ohne Nachwuchs, wo das Überleben unserer Spezies keine Rolle mehr spielt, geht es Kapitalismus gut. Der Staat verteidigt mit der Gewalt von Polizei und Armee das Eigentum monopolistischer Firmen, während ohne jeden Lebenssinn über den Verbleib des eigenen Atems hinaus in Coffeeshops konsumiert wird.
In den vergangenen Wochen habe ich beinahe 100 Stunden The Long Dark gespielt, ein Survivalvideospiel in einer langsamen, schleichenden Apokalypse, die ähnliche Fragen und Gedanken zum Zusammenhang des Endes der Welt, Menschheit und des Kapitalismus aufwirft. Im Vergleich zu vielen aufgeblähten Survivalgames in laufender Entwicklung und Betaphase der letzten Jahre, präsentiert The Long Dark extrem fokussiertes und ausgeglichenes Gameplay mit klaren Zielen und Herausforderungen. Die stille Apokalypse stellt sich in der Wildnis Nordkanadas hinter purem Überleben in verschneiten Wäldern und Gebirgen an; eine Herausforderung, ob Wallstreet gerade offen hat oder nicht. Beinahe alle Interaktionen mit der Spielwelt, das Aufheben von Gegenständen, das Öffnen von Türen und Schubladen, sowie die Verwendung von Ausrüstung und Nahrungsaufnahme, finden simpel und entspannt über die linke Maustaste statt. Das Überleben besteht in seiner Essenz ausschließlich aus einem Management von (in Reihenfolge der Wichtigkeit) Kälte, Energie, Durst und Hunger. Die wertvollste Ressource dabei ist immer wieder die Zeit: Die Befriedigung beinahe aller Bedürfnisse erfordert Feuer zum Aufwärmen, Kochen und Schneeschmelzen, jedoch muss dafür erst einmal in der Kälte Feuerholz beschafft werden, was wertvolle Zeit kostet, die vielleicht besser mit Nahrungssuche verbracht wäre, oder sollte lieber ein Nachmittag mit dem Flicken der löchrigen Kleidung verbracht werden, die kaum Wärme mehr bietet? Ständig muss priorisiert werden, welchem Aspekt des Überlebens die begrenzte Tageszeit am besten gewidmet werden sollte, bevor die bitterkalte Nacht hereinbricht.
Erst wenn alle Bedürfnisse gestillt sind, kann immer wieder begrenzt Zeit in die Verbesserung von Ausrüstung und Kleidung gesteckt werden, bis die Vorräte doch schneller als gedacht wieder ausgehen. In der Natur der kanadischen Wildnis liegt, dass gerade Essen nicht langfristig vorproduziert werden kann: Ein Anbau von Nahrungsmitteln ist in der Kälte nicht möglich und gejagtes Fleisch lockt Wölfe und Bären an, bis es in absehbarer Zeit schlecht wird.
Irgendwann ist die gesammelte und geflickte Kleidung dann doch dick genug, dass die Spielfigur zumindest in der Mittagssonne der Kälte trotzen kann. Das ständige In-Bewegung-Bleiben durch die Spielwelt von The Long Dark löst tatsächlich vor allem das Nahrungsproblem, da in den letzten Ruinen der Zivilisation Nordkanadas allerhand industriell produzierter Schokolade, Cracker und Konserven dem Verfall trotzen. In diesem Sinne belohnt das Spiel einen nomadischen “Jäger & Sammler”-Spielstil, nur dass statt essbarer Pflanzen die letzten Reste der untergehenden Zivilisation geplündert werden.
Das Überleben in The Long Dark zeigt so gesehen die Gründe der (prä-)historischen Entwicklung vom nomadischen Stammesleben zur kapitalistischen Zivilisation hin auf. Ein einsames, sesshaftes Leben in The Long Dark ist theoretisch möglich, macht jedoch als Videospiel kaum Spaß, da die komplette begrenzte Zeit eines Tages mit Jagen, Kochen, Feuerholzsammeln und Kleiderflicken verbracht wäre. Gemeinschaftlich in einer Zivilisation könnte diese Arbeit zwischen Mitgliedern geteilt werden, was am Ende mehr Freizeit für alle bedeuten würde.
Die Etablierung einer sesshaften Zivilisation macht also erst Sinn, wenn durch Arbeitsteilung genug Ressourcen gesammelt und produziert werden können, um die Bedürfnisse aller Mitglieder effektiver als nomadisches Jagen & Sammeln zu decken. Die höhere Effektivität der Versorgung einer Zivilisation durch sesshaftes Leben kann durch Agrarproduktion und technologischen Fortschritt erreicht werden, was historisch so auch passiert ist. Technologischer Fortschritt bis heute erhöht die Effektivität von Produktion. Die Bedürfnisse der Zivilisation können mit immer weniger Arbeitszeit gedeckt werden. Wird bei effektiverer Produktion die Arbeitszeit nicht verringert, wird überproduziert. Diese Überproduktion ist logisch betrachtet Verschwendung von Ressourcen und Arbeitszeit, was wir in unserer heutigen Gesellschaft an Ressourcenknappheit, Klimawandel und dem massiven Anstieg psychischer Krankheiten sehen, wird im Kapitalismus jedoch in Profit umgewandelt, der uns als ultimatives Ziel unserer Arbeit erscheint. Die Trennung von Produktion vom Bedarf für Produktion ist also historisch ein Grundpfeiler für die Entwicklung des Kapitalismus.
The Long Dark hat einen ähnlichen Gameplayfluss wie die ArmA 2 (2009) Modifikation DayZ (2012), einem Taktikshooter in einer riesigen Spielwelt während einer Zombieapokalypse. Das kurzfristige Gameplay dreht sich immer um die zeitnahe Beschaffung überlebenswichtiger Güter wie Nahrung und Medizin, während langfristig durch das gelegentliche Auffinden besserer Ausrüstungsgegenstände eben diese Suche immer komfortabler, aber nie trivial wird. Im Unterschied zu The Long Dark ist DayZ jedoch explizit ein Multiplayerspiel, das durch soziale Interaktion mit den Mitspielenden bestimmt wird. Da The Long Dark ausschließlich ein Singleplayerspiel ist, kann wie bereits erwähnt Arbeit nicht geteilt werden, während dies für Spieler*innen, die sich in DayZ zusammentun, möglich ist. Kooperation war zur Hochzeit des Spiels notorisch selten und die Zombies stellten eine geringere Gefahr als Mord und Diebstahl der Spieler*innen untereinander dar, jedoch bildeten sich in Einzelfälle, soweit die begrenzten Spielmechaniken dies erlaubten, Protozivilisationen (im Gaming-Vokabular eher „Clans“), die ihr Überleben in der Spielwelt gegen die Zombies gemeinsam organisierten. Trotz der externen Gefahr durch die Zombies (die allegorisch auch z.B. für den Klimawandel stehen könnten), gegen die sich vereinigt werden könnte, entwickelten sich diese Zivilisationen in DayZ (und ähnlichen Spielen in den folgenden Jahren) immer wieder zu hierarchischen Kriegsparteien gegen nicht-zugehörige Mitspieler*innen. Statt die gebündelten menschlichen Kräfte auf kollektives Überleben zu richten, muss expandiert und dominiert werden*. In diesem Sinne ermöglicht DayZ durch seine Multiplayerfunktion eine historische Entwicklung zur imperialistischen Zivilisation hin, die durch die ewige Einsamkeit in The Long Dark nicht umsetzbar ist.
*Dieses Narrativ wiederholt sich auch immer wieder in anderer Zombiefiktion, wie etwa der Hit-TV-Serie (mit Videospielableger) The Walking Dead (2010).
The Long Dark spielt in einer unbestimmten nahen Zukunft nach einer Finanzkrise, welche den Schauplatz des Spiels, eine entlegene Region Nordkanadas, durch ökonomischen Abstieg ähnlich dezimiert hat, wie die Atombomben in Fallout (1997) den nordamerikanischen Kontinent. Zwar zerstört zu Beginn des Spiels ein elektromagnetischer Sturm als apokalyptisches Event jegliche Elektronik, die Zivilisation der Spieltwelt ist jedoch schon lange vorher zusammengebrochen. Schon am Tag 1 der Apokalypse sind alle Fabriken, Dörfer und Tourismushotspots der Region bereits seit Jahren verlassen und im Verfall. Der Fischfang und Kohleabbau der entlegenen Gemeinden war für den kollabierenden Kapitalismus nicht mehr relevant genug, um die Bewohner*innen weiterhin an die moderne Infrastruktur und Gesundheitsversorgung anzuschließen. Wer in der Welt von The Long Dark in Nordkanada lebt, lebt zu Spielbeginn bereits seit Jahren ohne Zivilisation.
Apokalypsenarrative existieren in einer Grauzone aus post- und präkapitalistischen Ideen, aus Progression und Regression. Durch die Zerstörung des etablierten, kapitalistischen Gefüges besteht die Möglichkeit zu Umdenken und Neuanfang, jedoch auch das Risiko einer Wieder-/Erholung. Apokalypsefiktion dreht sich beinahe immer um den Verlust von moderner Produktion, was eine Rückkehr zu jagenden und sammelnden Stämmen verursacht. Da diese Fiktion aus unserer Kultur heraus entsteht, sind diese Stämme oft metaphorische/satirische Spiegel unserer aktuellen Gesellschaft, welche die selben Fehler wie wir (wenn auch zugespitzt) begehen. Beispiel hierfür ist der Konflikt um ein Stück nuklear verstrahlte Wüste in Fallout: New Vegas (2010) zwischen der bürgerlichen, bürokratischen (und völkermordenden) New California Republic, und der imperialen, diktatorialen, patriarchalen Ceasar’s Legion, einer römischen Legion mit modernen Schusswaffen, die ihre Legionärssuniformen aus alter Footballausrüstung fertigen. Eine sowohl ideologische als auch ästhetische Rückkehr zu antikem Imperialismus erscheint uns als absurde Fiktion des ohnehin satirischen Fallout-Universums, bedient jedoch das apokalyptische Thema der Zurücksetzung und Wiederholung menschlicher Entwicklung. In diesem Genre der Fiktion werden menschliche Fehler zwar erkannt, jedoch als unausweislicher, beinahe natürliche Zyklus* präsentiert. In einer Apokalypse wird der Mensch wieder zum überlebenden, instinktgeleiteten Tier reduziert, und unsere Instinkte scheinen kapitalistisch zu sein. Dieser Glaube, dass die Ungerechtigkeiten der Menschheit natürlich und instinktuell bedingt sind, ist für die Profiteure einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft eine angenehm essentialistische und nihilistische Ausrede, weshalb Veränderung nicht notwendig/möglich sein soll.
*Die Modifikation Enderal (2016) für The Elder Scrolls V: Skyrim (2011, 2016, 2017, 2018, 2021) stellt in ihrem Narrativ, einem der cleversten der Videospielgeschichte (meine Meinung), die Apokalypse buchstäblich als wiederkehrenden, scheinbar nicht zu brechenden Zyklus dar. Die Untersuchung der Apokalypse in Enderal ist jedoch kaum spoilerfrei möglich und würde den Rahmen dieses Textes sprengen, weshalb ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen werde. Ohne eine anerkennende und lobende Erwähnung Enderals im Bezug auf zyklische Apokalypsen hätte ich aber garantiert (und berechtigt) „Was ist mit Enderal?“-Nachrichten bekommen.
Konträr dazu sieht beispielsweise der Afropessimismus, bezeichnet von Frank B. Wilderson III, den Kollaps der bestehenden, unkorrigierbar anti-Schwarzen Gesellschaft als Bedingung für auch nur die entfernteste Möglichkeit einer eventuellen Etablierung einer postrassistischen Gesellschaft. Die aktuelle Gesellschaft muss fallen, egal was danach kommt. Auch wenn der Kollaps der Gesellschaft nicht zwingend durch eine herkömmliche Apokalypse geschehen muss, birgt durch diese Linse Apokalypse ein progressives Potential statt der reinen regressiven Wiederholung in herkömmlichen Apokalypsefiktionen.
Im Videospiel Deus Ex (2000), das einige Entwicklungen unserer heutigen Gesellschaft, vor allem den War on Terror, schon vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vorrausgesagt hat, wird der Fluss von Informationen und das komplette gesellschaftliche Leben, jede Informationstechnologie, durch ein AI-kontrolliertes Cybernetzwerk eines superreichen Philanthropen (vergleichbar mit damals Bill Gates oder heute Jeff Bezos/Elon Musk) kontrolliert. Das Spiel ermöglicht mehrere Enden: In meinem bevorzugten Abschluss sprengt der Protagonist JC Denton den Knotenpunkt des AI-Informationsnetzwerks durch das Überladen eines Atomreaktors in die Luft, mit weitreichenden Konsequenzen. Beinahe jede Kommunikationstechnik der Welt, Internet, Radio, Fernsehen, Telefon, werden durch diese Entscheidung in einem Schlag vernichtet. Während die globale Kommunikation kollabiert, kann JC Denton noch einen letzten Funkspruch von einem Verbündeten am anderen Ende der Welt empfangen, dass die Menschheit nun die Chance auf einen Neuanfang hat. Von Fans des Spiels wird dieses Ende als “Dark Age Ending“ bezeichnet und pessimistisch betrachtet, dass sich die kapitalistischen Entwicklungen und Verschwörungen im Sinne der überwiegenden Mehrheit der apokalyptischen Fiktion nur wiederholen werden. Die Spielwelt von Deus Ex präsentiert eine sehr glaubwürdige und durchdachte Fiktion, jedoch kann der vom Spiel gewährte Einblick in eine von Illuminaten kontrollierte Parallelwelt kaum eine pauschale Prognose des Verlaufs eines kulturellen Neuanfangs eben dieser zulassen. Jede Analyse des „Dark Age Endings“ über ihren sehr minimalen textgetreuen Inhalt hinaus kann nur Projektion unserer eigenen Werte und Vorstellungen sein. In späteren Teilen der Serie ist das „Dark Age Ending“ auch nicht mehr Canon.
Das „Dark Age Ending“ von Deus Ex kann auch als eine anarchoprimitivistische Zukunftsvision interpretiert werden, die eine Menge gerade marginalisierter Menschen durch Ausfall der Infrastruktur und des Gesundheitssystems das Leben kosten würde, ähnlich wie in The Long Dark. In Apokalypsefantasien kann der antikapitalistische Wunsch nach einem Neuanfang, Weltschmerz oder passive Suizidalität stecken, doch kaum eine antikapitalistische Strömung kann sich ernsthaft und guten Gewissens eine Apokalypse herbeiwünschen.
Jedoch ist auch in den wenigsten Fiktionen die Apokalypse von Antikapitalist*innen mit dem Wunsch eines Neuanfangs herbeigeführt. Die Apokalypse findet durch Ressourcenkrieg (Fallout), autoritäre Kontrolle (Deus Ex), oder Finanzkrise (The Long Dark) statt, alle im Rahmen unserer bürgerlich-kapitalistischen Demokratie verursacht. Und selbst in diesen Szenarien, in denen der Kapitalismus das Ende unserer Welt provoziert, besteht das Risiko, dass er selbst überlebt. Es ist leichter sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus. Aber muss das so sein? Ist der Kapitalismus ein unausweislicher Zyklus, solang wir Menschen existieren?
In der nomadischen und frühzivilisatorischen Epoche der Menschheit war ein gesamtgesellschaftlicher Kollaps durch Dürre, Hungersnot oder Krieg zu jeder Zeit eine realistische Gefahr (und ist beispielsweise beim sogenannten „Bronze Age Collapse“ auch passiert). Der Schutz eigener Ressourcen und das Konzept von Eigentum waren sowohl für Einzelpersonen als auch Gemeinschaften eine logische Überlebensstrategie. Ein solidarisches Teilen von Eigentum beherbergte das greifbare Risiko, später in einer Krise selbst nicht bestehen zu können. Tauschhandel, der Tausch krisensicherer Ressourcen gegen andere krisensichere Ressourcen (oder später Währungen), war eine sinnvolle Alternative zu Krieg, der gewaltvollen Aneignung von Ressourcen anderer Stämme/Zivilisationen. Mit technologischem Fortschritt wurde auch das gesellschaftliche Überleben von Krisen immer wahrscheinlicher und machte Egoismus als Überlebensstrategie überflüssig. Kapitalismus beginnt, wenn (wie bereits vorhin erwähnt) produziert wird, ohne dass Notwendigkeit dafür besteht, nur um Profit zu erwirtschaften. Diese historische Entwicklung ist wahrscheinlich, aber nicht unvermeidbar. Eine Gesellschaft die Gemeinschaft, Freizeit und Selbstverwirklichung über Besitz priorisiert, kann jederzeit, auch nach (Neu-)Etablierung des Kapitalismus, den Wechsel zu einer bedürfnisorientierten Produktion schaffen.
Eine sesshafte Zivilisation in The Long Dark, die gemeinschaftlich ihre Überlebensaufgaben teilt, kann den Rest ihrer Freizeit in Schneeballschlachten, Lesen, Schreiben, Malen, statt in Arbeit, Produktion und Konsum investieren. Egal ob der Kapitalismus in einer Apokalypse endet oder nicht, wie wir danach (über-)leben wollen ist nicht in Stein geschrieben. Eine Entwicklung zum Kapitalismus hin ist wahrscheinlich, wenn wir unsere kollektiven Werte und Prioritäten nicht hinterfragen und verändern, aber diese Werte und Prioritäten sind definitiv in unserer historischen Entwicklung, unseren materialistischen Umständen und nicht in Instinkten begründet.
The Long Dark ist ein fesselndes und überraschend einfach zu spielendes Spiel mit einer extremen Tiefe an momentären Gameplayentscheidungen, im Sinne der Einfachheit und des Komforts jedoch auch mit einer Menge Abstraktionen und Auslassungen. Gerade durch diese simple Eleganz und das einzigartige Setting, das eine schleichende statt einer plötzlichen Apokalypse abbildet, sticht The Long Dark aus seinem Genre heraus. In fast 100 Stunden Spielzeit an Jagen, Kochen, Wandern und Plündern von Ruinen hatte ich eine Menge Raum, über die Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit, Vor- und Nachteile von (moderner) Zivilisation nachzudenken. Die (von den Entwickler*innen noch nicht abgeschlossene) Story des Spiels selbst ist nicht wirklich antikapitalistisch, so werden zum Beispiel Geflüchtete aus einem Gefängnis der Umgebung als blutrünstige Mörder ohne jede Motivation dargestellt, die Interaktion mit den Mechaniken und die Spielwelt erzählen jedoch ihre eigene Geschichte von spätkapitalistischem Zerfall, der uns nicht nur durch Klimawandel droht. Am Ende ist die Erkenntnis aus meiner Reflexion zu The Long Dark und die Antwort auf die Ursprungsfrage dieses Essays dann aber doch keine neue: Der Kapitalismus endet, wenn wir es wollen.