„Das rote Buch war nur Maos Tweetsammlung“ – @garamsalami

Celsius

Posted: August 27th, 2023 | Author: | Filed under: Prosa | No Comments »

SO 09.07.

Was für ein gelungener, letzter Urlaubstag! Mit Tom und Maxe an den Feldmochinger See geradelt. Der ist so weit raus aus der Stadt, man muss schon fast von einer Radtour sprechen. Es war super voll und das Wasser voller Sonnencreme hat ölig-regenbogenfarben geschimmert, eher eklig. Haben an der Grillwiese ein paar Leckerbissen von netten Leuten abgestaubt. So spart man sich die überteuerten Wiener vom Strandkiosk. Weil uns das nicht satt gemacht hat, sind wir auf dem Heimweg spontan bei einem indischen Restaurant eingekehrt, große Klasse. Die Panade der Vegetable Pakoras war schön fettig und innen etwas vom Gemüse angeweicht, das Palak Paneer war kräftig würzig und sie haben nicht mit Käsewürfeln gespart. Jetzt von der Hitze schon recht früh müde, aber muss morgen ja auch zeitig aufstehen. Ab 9 werden im Büro wieder Excel-Tabellen getippt.

MO 10.07.

Ich hatte gestern gerade das Tagebuch weggelegt, da glühte es vor dem offenen Fenster plötzlich grün, als hätte ein Chemielehrer Kupfersalz in einen Bunsenbrenner geworfen, und ein kurzer, intensiver Schock fuhr durchs ganze Gebäude, wie Gottes Esstisch ächzend rückend über das Parkett des Universums, oder eine Couch aus dem zweiten Stock donnernd in einen leeren Bauschuttcontainer. Sofort wusste ich, dass ein Komet in der Erdatmosphäre verglüht sein musste, kannte ich dieses Phänomen doch aus der Lokalzeitung, wo das selbe schon einmal vor Jahren im Münchner Norden geschehen war. In dem Moment regte sich also trotz des überraschenden, intensiven Reizes nur kurz mein Überlebensinstinkt. Ich blickte aus dem Dunkel meines Schlafzimmers in den schwarzen Himmel, durch den der verbrennende Weltraumstein eine klaffende Wunde brilliant leuchtenden Grüns zog, wie eine feurige Aurora Borealis. Ich wunderte mich, dass dieses Lichtschauspiel lange genug anhielt, dass ich noch einen Blick darauf erhaschen konnte, und zwar einen sehr ausgiebigen. Als der brennende Himmelsriss nach vielleicht einer Minute immer noch nicht verschwunden war, fing ich an mir Sorgen zu machen, dann an meiner Wahrnehmung zu zweifeln, und ging schließlich schlafen.

Das klingt verrückt, aber als ich aufwachte, zu einem strahlend blauen morgendlichen Sommerhimmel, brannte der Kometenschweif noch immer eingefroren in einem gleißenden hellgrün, das sogar die Sonne zu überblenden schien, wie eine fluoreszierende radioaktive Wolke in einem Cartoon, mit messerscharfen, tanzenden Kanten. Selbst viele Stunden später, ich schreibe gerade diese Zeilen, leuchtet ein Stück des Firmaments wie ein Portal direkt in die grüne Hölle.

Im Büro war alles normal. Vereinzelt teilten Kolleg*innen im Arbeitschatraum Spekulationen zu dem Naturspektakel, ich bilde mir das Ganze also nicht ein. Trotzdem habe ich keine Ahnung was da los ist. Sehen wir ein tatsächliches Feuer oder ist das nur ein Lichtschauspiel? Wie weit weg sind die Flammen? Welche Substanz ist am brennen? Ist das vielleicht die Explosion eines fernen Sterns? Eine optische Täuschung? Irgendeine rationale Erklärung muss es ja geben, wir können es schließlich alle mit unseren eigenen Augen sehen, wenn wir statt auf unsere Excel-Tabellen lieber aus dem Fenster schauen. Tagsüber kamen keine offziellen Stellungnahmen zu dem Phänomen, ich hoffe das heißt es ist ungefährlich. In den Abendnachrichten gleich werden sie das Rätsel dann hoffentlich auflösen.

In der Cafeteria gabs Blumenkohl „polnische Art“ mit Salzkartoffeln. War überraschend genießbar und unkontrovers, auch wenn ich nachsalzen musste. Über meinen Urlaub haben sich erstaunlich wenige Aufgaben für mich angehäuft, bin trotz der ganzen Aufregung heute schon fast durchgekommen. Einer der Vorzüge davon, in seiner Tätigkeit komplett ersetzbar zu sein.

DI 11.07.

In den Nachrichten gestern Abend ging es um Krieg, Inflation, Seuche und Wetterbericht, aber kein Wort zum Himmel. Ein paar Memes auf Sozialen Medien gabs dann doch. Filmreferenzen und Sketche hinterlegt mit Bildern des Himmelrisses, manche mir unverständlich, manche perfekt ins Schwarze getroffen. Ich wüsste auch nicht, was man mehr tun soll, als diesen komischen Vorfall, für den es keine Antworten gibt, obwohl wir es alle mitgekriegt haben, mit Humor zu nehmen. Flammen zieren den Himmel und es gibt nichts, was irgendjemand dagegen tun kann, aber sie stören auch nicht wirklich im Alltag. Vielleicht ist es nicht relevant genug, weil es nur über München zu sehen ist? Aber auch die lokale Feuerwehr und Polizei haben keine Stellungnahmen veröffentlicht. Weder Warnung noch Entwarnung. Die müssen das doch auch sehen und sich fragen, was da passiert? Habe den ganzen Tag immer wieder gegoogelt, ob es endlich einen Artikel zum Himmelsriss gibt, ergebnislos. Das nagt mir doch ständig bedrohlich im Hinterkopf.

Das 10 Uhr Meeting heute war zäh und ereignislos, Sommerloch anscheinend. Ich habe kein Wort gesagt und um ehrlich zu sein auch nicht wirklich zugehört, Hauptsache mein Lohn wird weitergezahlt. In der Cafeteria hab ich heute die Bratwürstl mit Sauerkraut genommen, für das Biergartenfeeling. Bei dieser Hitze würde ich viel lieber mit einem kühlen Bier unterm Sonnenschirm auf einer Klappbank sitzen, da müsste ich über mir nicht einmal die Flammen am Himmel sehen und mich fragen, ob sie sich langsam ausbreiten. Fernsehprogramm heute ist langweilig, ich werd jetzt zur Ablühlung den Weihnachtsfilm „Stirb langsam“ streamen, um mich ein wenig abzukühlen, und wahrscheinlich noch im ersten Akt verschwitzt einschlafen.

MI 12.07.

Die ganze Stadt brummt gefühlt einen tiefen Dauerton durch alle sonnengefluteten Straßen, die sich mit Hitze vollsaugen. Mit 50 Hertz Wechselstrom getrieben summen alle Klimaanlagen rechts und links der Isar gemeinsam auf Hochtouren den Soundtrack der Erderwärmung und kommen mit dem Kühlen kaum hinterher. Zum Glück ist München so eine grüne Stadt, die dank Photosynthese die aufgestaute Heißluft der Betonwüste praktisch wegatmen kann. Nicht auszuhalten wäre es hier sonst. Nicht auszuhalten ist es auch im Büro, bin ich im Geiste doch nur rund um die Uhr im Freibad. Vielleicht klappts mit dem kühlen Nass ja am Wochenende, nach der Arbeit bin ich zu müde. In der Cafeteria haben sie sich heute mal wieder vertan, es gab komische kleine Kohlenhydrate, die wie Reis aussahen, aber schleimige Nudelkonsistenz hatten, serviert mit Gemüsepampe und einem traurigen Klecks Ajvar vermutlich direkt aus dem Glas. Wünsche mir so wie Konrad Adenauer 1949 da weniger Experimente.

Als es schon dämmerte und der freie Himmel nicht mehr mit dem Hitzetod drohte, habe ich mich mit einer Zigarette und einem Glas kühler Limo auf den Balkon gestellt und einem Raben auf der Straße im grünen Schein zugeschaut. Er stolzierte lustig umher und pickte immer wieder auf den Asphalt, vielleicht nach Körnern oder Bröseln, die ich auf diese Distanz nicht erkennen konnte. Schon merkwürdig, dass selbst so etwas unnatürliches und totes wie Straßenbelag diesem Vogel einen Lebensraum bieten kann, in dem er jagt und sammelt. Ich muss an die Geschichte denken, die man sich in Person und im Internet erzählt, in welcher der Freund eines Freundes einen Schwarm Raben mit Futter gezähmt hat, die ihm aus Dankbarkeit Geschenke bringen, Gummibänder oder kleine Aluminiumschnipsel, Steinchen und sowas. Als er eines Tages von ihnen einen Geldschein hingelegt bekommt, kauft er ihnen aus Dankbarkeit besonders schmackhafte Leckereien. Die schlauen Raben verstehen sofort: Geld = Belohnung. Von da an bringen sie ihrem Menschen jeden Tag Geldscheine aller Wertigkeiten, Quelle unbekannt. Vielleicht lege ich meinem Rabenfreund auf der Straße morgen eine Walnuss hin. Habe zwar keine da, aber muss morgen sowieso einkaufen gehen, hab für meinen morgendlichen Kaffee nur noch eine homöopathische Menge Milch übrig.

DO 13.07.

Zu spät zur Arbeit gekommen. Die Trambahn-Fahrerin ist einfach wegen der Hitze umgekippt, dabei stehen wir Passagiere hinten doch wie die Sardinen im eigenen Saft zusammengepfercht. Jetzt lag der Zug natürlich führungslos auf dem Gleis im Weg, bis ein Ersatzfahrer mit dem Taxi angekarrt werden konnte. Zum Glück hat der Chef mir die Ausrede durchgehen lassen, bin dafür dann länger geblieben. Mittagessen: Wieder ein merkwürdiges Selbstverwirklichungsprojekt des Kochs, eine ungewürzte, halbe „Grillaubergine“ mit Reis, dazu halbherzig marinierte Tofuscheiben, von denen ich heute nacht bestimmt noch exzessiv furzen werde müssen.

Noch später nach Hause gekommen, weil ich einfach in drei Supermärkten war. H-Milch, Nudeln, Öl und Klopapier sind einfach überall ausverkauft. Habe dann nachgegeben und mir eine übriggebliebene, überteuerte Hafermilch gekauft, man gönnt sich ja sonst nix. Walnüsse gabs überall. Klopapier ist nicht so das Problem für mich, benutze ja zum Glück eine Arschdusche, weil Dr. Eberbach mir wegen der Hämorrhoiden Klopapierverbot gegeben hat.

Der Infoscreen im U-Bahn-Waggon hat die Nachricht gezeigt, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 verfehlen wird. Als ich mit meiner vollen Einkaufstasche ausgestiegen bin, zeigte der Infoscreen am Bahnsteig stattdessen eine Werbung mit dem Slogan „Klima schützen war noch nie so einfach“, vor lauter Schreck habe ich mir nicht einmal gemerkt, welches Produkt beworben wurde.

Noch immer keine Erklärung zum Himmelsriss, bin mittlerweile aber ziemlich sicher, dass er wächst. Wenns was Schlimmes wäre, hätte man ja aber sicher schon was gehört, hoffe ich?

FR 14.7.

Es regnet Asche. Als es losging, dachte ich es wären vielleicht Pollen, aber der Geruch ist unverwechselbar rauchig. Asche, keine Frage. Als ich morgens aus dem Haus bin, hat mein Rabenfreund gerade die Walnuss auf der Straße umhergeworfen, wahrscheinlich um sie zu knacken. Bin zu Fuß zur Arbeit, wollte nicht der Nächste sein, der in der vollen Tram kollabiert. War weiter als ich dachte, vielleicht nehm ich am Montag so einen lustigen E-Scooter, mit dem nachts immer besoffene Jugendliche heimfahren. Hätte ich nicht weise einen Hut aufgesetzt, hätte mich auf dem Gehweg sicher der Hitzschlag geholt. An großen Kreuzungen wird jetzt von den Stadtwerken aus Tankanhängern gratis Wasser verteilt. In den Nachrichten meinten sie, man solle mittags am besten gar nicht rausgehen. Ob das mit dem Himmelsriss zusammenhängt? Wenn sie dazu doch nur endlich mal was sagen würden.

SA 15.07.

In den Sozialen Medien gehen Fotos von Himmelsrissen weltweit um: Shanghai, Marseille, Mogadischu, New York City, überall einfach. Keine Ahnung ob das stimmt oder sich da jemand einen Scherz erlaubt, schließlich sind das immer nur Fotos von einem strahlend blauen Himmel mit grünem Riss, oder je nach Kameraqualität einfach überbelichtet weiß. Vielleicht teilt jemand zum Scherz Fotos vom Münchner Himmelsriss in anderen Ländern, um Panik zu verbreiten? Oder aber man sieht den selben nicht nur hier, sondern weltweit?

Ich schreibe diesen Eintrag gerade komplett unpanisch in der Badewanne, gefüllt mit kühlem Leitungswasser, das mit der Zeit immer wärmer wird. Dabei höre ich Julis „Perfekte Welle“, die nach dem großen Tsunami 2004 nicht mehr im Radio gespielt wurde. Passender Soundtrack gerade. Im Badezimmer ist es noch aushaltbar, das einzige Zimmer in meiner Wohnung ohne Fenster. Die anderen Räume haben sich durch die Sonneneinstrahlung schon so aufgeheizt, dass es von den Wänden Hitze abstrahlt wie von einem voll aufgedrehten Heizkörper. Würde ich nicht Gefahr laufen, zu ertrinken, würde ich genau hier am liebsten schlafen, statt in meinem dauerfeuchten Schweißbett. Muss mittlerweile nachts die Rolläden runterlassen, weil der Himmelsriss draußen so hell leuchtet. Meinen Samstag habe ich mir anders vorgestellt.

SO 16.07.

Diese Hitzewelle macht keinen Spaß mehr, selbst wenn der Wasserhahn am Anschlag auf blau steht, kommt das Wasser warm raus. Lag heute wirklich den ganzen Tag in der Wanne, auch wenn es mich verschrumpelt wie eine Rosine, die werden passenderweise ja in der Sonne getrocknet. Keine Chance auf Freibad, dafür brennt es zu unerbittlich herunter. Diesen Eintrag schreibe ich gerade im Dunkeln, weil sich selbst die Lampen des Badezimmers im Betrieb zu sehr aufheizen, keine Ahnung ob man hiervon später auch nur ein Wort lesen kann.

MO 17.07.

Montag. Stromausfall. Badewanne statt Büro. Beim fünften verpassten Anruf vom Chef ist das Handy überhitzt. Keine Ahnung, was der Himmel macht. Muss an den 11. September denken, als das zweite Flugzeug in den zweiten Turm flog. Eigentlich hätte spätestens da allen klar sein müssen, dass das ein absichtlicher Angriff war, aber nein. Habe mal eine Nachrichtenaufzeichnung von dem Tag gesehen, und der Livereporter hat noch, als schon beide Türme brannten, über einen Navigationsfehler spekuliert.

DI 18.07.

Schaue schon den ganzen Tag, wie lang ich unter Wasser überleben kann. 1-2 Minuten. Ertrinken oder verkochen? Aus dem Wasserhahn kommt nix mehr, trinke mein Badewasser. Zimmer verlassen aussichtslos, also kein Essen. Menschliche Haut beginnt sich ab 60° Celsius aufzulösen habe ich mal gehört, glaube bald ist es soweit. Jedes Mal wenn ich mit dem Kopf auftauche, brennt die Luft im Gesicht, beim Anfassen scheine ich Brandblasen um die Nase zu spüren. Aushalten.

DO 20.7.

Es hat mir die Füße verbrannt, aber ich habe nackt im Regen getanzt. Der Himmel leuchtet nicht mehr, er ist nur noch grau. Brennt über der Wolkendecke immer noch der Riss? Es ist mir egal, kommt Gewitter und Sturm, sie sind mir lieber als auch nur ein Grad mehr auf dem Thermometer. Wir wenigen nackten Überlebenden tollen in den Pfützen umher, wie die Tiere die wir sind. Kleidung hat jeden Sinn verloren, wir fressen an Ort und Stelle die Supermarktregale leer. Wir machen Liebe im braunen Gras, das so ausgehärtet von der Dürre den rettenden Regen nicht einmal mehr aufnehmen kann. Das flammende Inferno der Innenstadt wird von der Sturzflut gelöscht, das Rathaus mit seinem berühmten Glockenspiel ist leider abgebrannt. Ganz München riecht süßlich, gammlig, schmorig von der stillen Mehrheit, die der Hitze nicht standhalten konnte. Wir kämpfen an der Isar, die nur mehr ein Bach ist, mit entflohenen Zootieren um die territoriale Hegemonie über das letzte Trinkwasser der Region, und wir fühlen uns frei.


Comments are closed.