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Die Internationale Automobil-Ausstellung und ihre Konsequenzen

Posted: September 3rd, 2023 | Author: | Filed under: Essay, Politik | Tags: , , , , , | No Comments »

Lesezeit: ~8 Minuten

Die Internationale Automobil-Ausstellung IAA erwürgt zum zweiten Mal mit ihrem Aufbau und Stattfinden die Stadt München, deren schönsten öffentlichen Orte des Fußgehens durchs stählerne Baucontainer und Lieferfahrzeuge besetzt werden, um die letzten in der größten Verkaufsfläche Deutschlands lebenden Menschen zu Gunsten der Vernetzung der Öl- und Individualverkehrslobbies zu vertreiben. In der bayrischen Landeshauptstadt stehen jahrum die Hotels leer, nur um sie zu wenigen Großevents wie dem Oktoberfest, der Baumesse BAUMA und eben der IAA mit Anzugträger*innen zu füllen, welche die Einwohnerzahl der Innenstadt für mehrere Tage vervielfachen, während die ärmsten Münchner*innen sich nicht einmal mehr die Vororte leisten können, in denen der nächste Supermarkt eine Autostunde entfernt liegt.

Dass der Verbrennungsmotor und das ihn treibende Erdöl eine der Hauptursachen des Klimaverfalls sind, ist uns allen akut bewusst. Nicht ohne Grund zieht die IAA den Ärger weiter Gesellschaftsschichten auf sich, welche sie letztes Mal mehr oder weniger radikal mit Protest und Blockade begleiteten. Kaum diskutieren wir aber darüber, dass auch abgesehen von seiner ökologischen Verpestung der Autoverkehr eine perverse, neoliberale Ideologie ist, die revolutionär zerstört werden muss wie Rassismus und Patriarchat. Betrachten wir die Geschichte der Mobilität, können wir nur zu dem Schluss kommen, dass die Erfindung des privaten Automobils eine ähnlich wahnhafte wie die der Atombombe war, und unsere Leben nicht minder tiefgreifend beeinflusst. Moderne Fahrzeuge sind Unterdrückungswerkzeuge, die ihre Besitzer*innen zu kleinen Adeligen machen, die keinerlei Berührung zum Volk mehr haben. Wer fährt, erhebt sich gottesgleich über die Menschlichkeit der restlichen Gesellschaft. Ein Auto ist schon durch seine reine Konzeption eine Unmenschlichkeit, ein übernatürlicher Schutzschild aus mehreren Tonnen Stahl, den wir vor Wut über Stau in die Senior*innengruppe steuern oder in den See, mit unseren Kindern auf dem Rücksitz. Wollen wir die Exzesse und Gräuel des Kapitalismus überwinden, müssen wir die Ideologie des Autos überwinden. Kommunismus ist wenn keine Autos.

Nur die abenteuerlustigsten Menschen haben im Mittelalter die 20 Kilometer Fußweg um ihr Geburtshaus herum verlassen. Sah ein Bauer je ferne Ländereien, dann wahrscheinlich mit einem Speer in der Hand, aus eigener Muskelkraft seinem berittenen Fürsten in den Krieg hinterherlatschend, um auf dem Weg zur Schlacht an einem entzündeten Zehennagel zu sterben. Wer privat verreisen wollte, brauchte Freizeit und Kapital für die Verpflegung auf dem Marsch. Wollte ein Kaufmann privat von München nach Wien reisen, musste er wahrscheinlich von seinem Heimatort zur Isar wandern, dort ein Boot nehmen, immer wieder unterbrochen durch Fußmärsche entlang zu flacher oder reißender Flußabschnitte, schlafend unter freiem Himmel oder in isolierter Herbergen, bis er irgendwann die Donau und Wochen später Wien erreichte. Konnte er ein Wegstück eine Kutsche nehmen, dann nur aus reiner Nächstenliebe des Kutschers. So ein Trip war so anstrengend und gefährlich, dass es sich vermutlich um eine Reise ohne Rückkehr in ein neues Leben handelte, die niemand leichtfertig auf sich genommen hätte, wie wir heute 5 Stunden Flixbus für die selbe Strecke.

Wollte der Münchner Kurfürst dagegen Wien besuchen, reiste er mit berittener Entourage die komplette Strecke per Kutsche, vom seiner Resizenz bis zum festlichen Empfang am Wiener Hof. Diese Fahrt war langsamer, aber vermutlich ähnlich komfortabel für den Fürsten wie ein heutiger Ausflug mit dem Auto, auch wenn für seine Untergebenen dieses Unterfangen verschwenderische logistische Schwierigkeiten bereiten musste. Vermutlich war so eine Reise für einen Adeligen des Mittelalters sogar eine regelmäßige Erfahrung zur Verwaltung seiner Ländereien, politischer Geschicke und diplomatischer Vernetzung. Überhaupt nur die Idee der Mobilität war der breiten, untergebenen Bevölkerung fremd, ein aufregender Luxus für die reichsten und mutigsten.

Der Transport vieler Menschen war Jahrhunderte lang nur zuverlässig über den Wasserweg möglich, bis die Dampfmaschine alles änderte. Mit ihrer Erfindung konnte der Mensch nun Wärmeenergie, die er schon seit seinen Höhlenzeiten nutzte, in mechanische Energie umwandeln, die Handgriffe in der Fabrik und bald auch Beinarbeit mit dem Bau von Zügen und Dampfschiffen übernahm. Die riesigen Boiler dieser Transportmittel bedingten allein durch ihre Größe auch ebenfalls gigantische Transportmittel, was durch die Marktprozesse des Angebots und der Nachfrage Reisen für mehr Leute als jemals zuvor erschwinglich machte. Zwar gab es hier schon immer wie heute auch gestaffelte Preise, um Arm und Reich wenigstens durch separate Waggons zu trennen, doch mit dieser frühen Form des öffentlichen Transportmittels reisten Fürsten und Bauern mit der selben Geschwindigkeit. Sie waren eine logische Verwendung von Technik, große Mengen an Mensch und Material über weite Strecken zu transportieren. Mit dem Fortlauf der Forschung war es bald möglich, immer mehr Gewicht mit immer kleineren und effizienteren Antrieben fortzubewegen, was zu einer Allgegenwärtigkeit und Zugänglichkeit des öffentlichen Transports für den geringsten Aufwand hätte führen können. Der Kapitalismus hatte andere Pläne.

Mit der Erfindung des Ottomotors und des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprang dem von Konsum und Individualismus zerfressenen menschlichen Geist eine beispiellose Absurdität: Die Kraft kleiner kontrollierter Explosionen wurde in einen hunderte Kilo schweren Metallblock eingebettet, und die Zündschlüssel dafür dem kleinen 70kg Menschen übergeben, der sich damit besoffen um einen Baum wickelt. Die unglaubliche ingenieurische Genialität der Treibstoffverbrennung fand ihre Anwendung in der Bespaßung der Mittelklasse, die sich jetzt jeden Tag wie ein Fürst auf der Fahrt von Residenz zu Hof fühlen konnte, wenn es eigentlich von ihrer Hypothek zur Lohnsklaverei ging. Das Auto, manchmal billiger als eine Monatsmiete, war zum Statussymbol und zur Karotte am Stock geworden, der wir auf der Jagd nach individualistischem Geltungsbedürfnis durch Konsum bis in die Klimaapokalyse folgen.

Dass unsere Gehirne nicht für das Automobil gemacht sind, zeigt sich durch Autounfälle als eine Haupttodesursache für junge Menschen, das rücksichtslose, egoistische, fast gemeingefährliche Sozialverhalten im Straßenverkehr und die Vehemenz, mit der das Bürgertum seine Stahltonnen mit „Freiheit“ gleichsetzt, die bis aufs äußerste von der Lobbypolitik verteidigt wird. Entgegen jeder Rationalität werden Autos in den USA immer größer und nehmen so mit ihren Fahrer*innen immer mehr Raum ein, selbst wenn man über die Motorhaube den kleinen Timmy nicht mehr sehen kann, der jetzt im Kühlergrill hängt, und der Rest der Welt zieht nach. Infrastruktur vieler Städte ist ohne Fahrzeug kaum noch nutzbar, ganze Stadtteile bestehen aus Parkplätzen. Versuchen sich Menschen diesem Wahnsinn mit Straßenblockaden zu erwehren, fantasieren Fahrer*innen offen über die vehikulare Tötung der Demonstrierenden, in denen sie keine Mitmenschen mehr sehen können, weil die Welt für sie nur noch aus anonymen Metallkästen besteht, die per Hupen kommunizieren. Das Auto ist so sehr Teil unserer Identität, und wir nur noch ein exekutives Organ seiner Maschinerie, dass wir für und mit unseren Fahrzeugen zum Töten und Sterben bereit sind.

Nicht nur in Deutschland stellt Fahrzeugherstellung einen Hauptindustriezweig dar, und die Hoffnung auf immer größere und schnellere Autos hält uns bei der kapitalistischen Stange. So überrascht es auch nicht, dass die Automobillobby die Macht besitzt, ihre größten Verbrechen zu vertuschen, dass alle heute lebenden Menschen durch verbleites Benzin Hirnschäden haben, und dass ihre Schuld am Klimawandel bereits seit den 1950ern bekannt ist, alles im Namen des Profits. Kriege werden um Öl geführt, die Ressourcen für den BMW zu Martin Müllers 18. Geburtstag von kleinen Kindern weltweit zum Hungerlohn ausgebuddelt, und wir wissen, keins dieser Kinder ist blond. Diese Industrie, die uns seit über 100 Jahren manipuliert, vergiftet und ermordet, will uns jetzt mit ein paar netten interaktiven Ausstellungen im Stadtgebiet München weißmachen, sie würden uns in eine andere Zukunft als Massensterben führen.

Die Verbesserung der Verbrennungstechnik über die Jahrzehnte hätte öffentlichen Verkehr schonender und zugänglicher gestalten können, doch statt in Effizienz und Klimaverträglichkeit finden Sprünge nur in den Geschwindigkeiten statt, die uns durch die Frontscheibe fliegen lassen. Diesen Effekt sehen wir in allen Industrien: Technik führt niemals zu Zugänglichkeit, sondern regt nur unser Streben nach Konsum an, während die wirklichen Vorteile nur die Reichsten genießen. Autos werden immer schneller, komfortabler und teurer, Smartphones überbieten sich jährlich in Megapixeln, Videospielkonsolen versprechen realistische Grafik wie nie zuvor, während Menschen in den Katakomben unter dem Münchner Hauptbahnhof verrecken. Genau darum dreht sich das wieder an Popularität gewinnende Genre des Cyperpunk, wo eine arme Mehrheit nur die Krümel von den Tellern der Eliten bekommt, die ihnen aus ihren verchromten Hochhäusern in die vollgeschissenen Gassen fallen. Technik soll all unsere Probleme lösen, doch nur, wenn wir es uns leisten können, also geht brav arbeiten. Irgendwann könnte der Porsche, die Playstation 5, das iPhone 20 oder das Cyborgimplantat euch gehören.

Das Automobil hat in seiner Geschichte zweifelsohne mehr Menschen getötet, als die Atombombe. Die Verbrennung unendlicher Liter an Treibstoffen zum Transport einzelner Personen ist mindestens so wahnwitzig, wie mit Kernspaltung Menschen braten zu wollen. Selbst wenn wir den Klimakollaps abwenden oder überleben sollten, wird das Blei in der Erdatmosphäre sich für Generationen nicht mehr abbauen. Die Verbleiung von Benzin ist vielleicht das allumfassendste, kaum bekannte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, wurde diese damals bereits als giftig bekannte Substanz dem Treibstoff aus reiner Profitgier beigemischt. Wir können es nicht wissen, doch vielleicht kippt gerade in dieser Sekunde ein bösartiger Wissenschaftler irgendeinen toxischen Scheiß ins Benzin, um das Gebräu bei der IAA als neue Innovation zur Klimarettung vorzustellen, und die Aktienmärkte werden sich überschlagen. Bis wir die Konsequenzen davon spüren, leben die Investor*innen wahrscheinlich schon auf dem Mars.

Ich begrüße jeden revolutionären Einsatz gegen die IAA als Symbol des Automobilterrors. Gutes Glück und wenig Repression an alle Genoss*innen, die dieses Jahr zweifelsohne wieder mutig metaphorischen Sand ins Getriebe kippen werden. Ob den Porsche oder den Renault Twingo, im Kampf gegen das Auto kann es nur die Richtigen treffen, und jedes Mittel ist recht. Bedenken wir, wie viele Menschenleben das Auto allein in den kommenden Jahren auslöschen wird, erscheint eine Atombombe auf München zwischen dem 5. und 10. September 2023 wie ein Opfer, das ich als unweigerlicher Teil der Todeszahl bereit wäre, zu bringen.


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