„Das rote Buch war nur Maos Tweetsammlung“ – @garamsalami

Die Schlacht an der Senke

Posted: August 6th, 2023 | Author: | Filed under: Prosa | No Comments »

5:45, es pfeifft zum Angriff. Mit einem siegessicheren Getose und Gebrüll steigen Leuchtraketen in den dämmernden Himmel empor und erhellen künstlich die weite Wüste. Da laufen sie, ein paar hundert Meter vor uns, wie unzählige kleine Ameisen durchs offene Gelände. Es dauert nur wenige Sekunden, da beginnt die Leuchtspurmunition unserer Maschinengewehre hämmernd rote Streifen von uns zu ihnen da vorne zu ziehen. Schon mit der ersten Salve stürzen Silhoutten in den Dreck, die meisten vor Schreck, einige getroffen vom heißen Blei. Es schreit Alarm aus unseren Reihen. In den folgenden Sekunden setzt das Bellen einzelner Gewehre ein, so auch meins. Die schemenhaften Umrisse der Faschisten, die sich im Morgengrauen von Fels und Sand abheben, sind noch zu weit entfernt für gezielte Schüsse, stattdessen feuere ich im mir antrainierten Rhythmus grob in die Richtung einzelner Feindansammlungen. Immer wieder verschwinden die zahlreichen anrückenden Körper in Senken und hinter Dünen der rollenden Wüste, die nun vollständig mit Blei beharkt wird, um an anderer Stelle wieder aufzutauchen. Es dauert nur einen routiniert abgesetzten Funkspruch lang, bis wir von fern hinter unseren Schützengräben das Donnern unserer Kanonen hören können, die in das infernale Orchester der Zerstörung einsetzen. Ich habe gerade Zeit in der Deckung meiner Sandsackstellung mein leergeschossenes Magazin nachzuladen und wieder meine Waffe in Richtung der Faschisten zu richten, da zerreißt bereits die erste Explosion den Sand inmitten ihrer Reihen und schickt einen Geysir aus Dreck und Metallsplittern in den Himmel, dicht gefolgt von einer zweiten, dritten und vierten Erschütterung, die selbst uns in unseren Erdlöchern die Gebeine durchrattern. Auf diese Distanz sehen wir die Feinde nicht sterben, ihre schlaffen Körper stürzen und verschwinden nur im Gelände. Unser Feuer dünnt den faschistischen Ansturm immer weiter aus, doch der Strom des über den Horizont erscheinenden Nachschubs reißt nicht ab. Der einstudierte Takt unseres versetzten Gewehrfeuers überlagert sich zu einer anhaltenden Schockwelle von kleinen Explosionen, wie die sägenden Zylinder eines beschleunigenden Benziners. Unsere Artillerie zerfetzt wie Paukenschläge Felsen, Dünen und Körper gleichermaßen.

Die glücklichsten und schnellsten Soldaten der Faschisten sind bereits nah genug an uns herangestürmt, dass das diffuse schattenschwarz ihrer Silhoutten langsam dem klaren grau ihrer Uniformhemden weicht. Ich wähle zufällig einen von ihnen durch mein Visier, atme langsam aus, und drücke ab. Der Rückstoß lässt meinen Gewehrlauf springen, die heiße Patronenhülse wird in den Dreck neben mir ausgeworfen, das Mündungsfeuer blendet mich, doch ich richte sofort wieder auf mein Ziel aus. Der Nazi läuft noch immer. Ich versuche mein Fadenkreuz genau an die Geschwindigkeit seiner Bewegung anzupassen, bevor ich erneut abdrücke. Für den Bruchteil einer Sekunde verliere ich ihn im Blitz der Mündung. Ist er gefallen? Nein, ich sehe ihn noch immer laufen, in seiner gehabten Geschwindigkeit, in die selbe Richtung. Ich atme ein. Aus. Versuche mein bestes, das Gedonner der Schlacht auszublenden. Die Striche des Fadenkreuzes sind dünn wie Haar, und doch überdecken sie mein Ziel fast. Feuer. An der Stelle wo er lief, ist nur noch Sand. Habe ich getroffen? Vielleicht jemand anders? Hat er es in Deckung geschafft? Ich wechsel das Ziel.

Die sportlichsten der Faschisten haben beinahe den Stacheldraht einen Steinwurf vor unserer Position erreicht. Ich bilde mir ein, das Weiß in ihren Augen erkennen zu können, bevor einer nach dem anderen von ihnen fällt. Umso näher sie uns kommen, umso leichter wird das Zielen für uns. Umso mehr Grund sie über das weite Angriffsfeld gut machen, umso dichter wird unser Schutzwall aus Blei in der Luft, doch die Faschisten am Horizont vermehren sich noch immer. Wir tun unser Bestes, doch langsam gerät unsere Stellung unter Druck. Das Feuer meiner Genoss*innen und mir wird mit unserem einsetzenden Überlebensinstinkt immer frenetischer, und langsam beginnen sich die grau uniformierten Körper an unserem Stacheldraht zu stapeln. Die Leichen bieten ihren lebenden Kameraden die Deckung, die sie brauchen, um den Beschuss zu erwidern. Sie sind jetzt nah genug, dass wir den zischenden Befehlston ihrer Stimmen hören können. Ob sie miteinander reden oder uns verhöhnen wollen, geht unter im Gewitter der Schlacht.

Ich verschwinde kurz hinter der Deckung, werfe mein leergeschossenes Magazin zu den bereits dutzenden anderen, und klicke das neue schussbereit in mein Gewehr. Kaum habe ich meinen Kopf wieder über die Sandsäcke gehoben und einen Schuss abgegeben, wirft mich plötzlich ein betäubender Hieb rücklings um. Ein zweiter dumpfer Schock presst mir die Luft aus der Lunge, als ich ungebremst rücklings auf dem Staub aufschlage. Für einen Moment rüttelt es mein Gehirn im Schädel umher, noch bevor ein einziger Nerv einen Schmerzimpuls senden kann. Mit dem Dröhnen im drückenden Kopf setzen auch die Sinne wieder ein. Ich starre in den schwarz-orangen Farbverlauf des Himmels, übersät mit kleinen Schäfchenwolken, in deren weißen Fell sich der Feuerschein der Explosionen spiegelt. Ich setze mich ächzend auf und spüre in meinen Körper hinein, ob ich noch alle Körperteile und Organe habe. Neben mir im Sand steckt ein Stock, der mich mein Schicksal verstehen lässt: Ein Wurfspeer der Faschisten ist an meiner Carbonrüstung abgeprallt. Eine Hand greift mir helfend unter die Schulter, eine zweite reicht mir mein Gewehr. Als wäre nichts gewesen, feuere ich wieder den alten Takt über die Sandsäcke und den Stacheldraht, dem vereinzelten Niederregnen primitiver Speere auf unsere Stellung zum Trotz.

Der Schlachtlärm ist zum Schlachtgeflüster verkommen. Wie kleine Neujahrsböller platzen vereinzelt die Patronen ins Feld, sodass zwischen ihnen sogar genug Stille für ein Echo bleibt. Die letzten lebenden Faschisten robben durchs zerkraterte Schlachtfeld zu ihren eigenen Linien zurück, die über dem Horizont bereits von unseren orbitalen Lasern ins Visier genommen werden. Erst jetzt mit dem Ende der Kämpfe kommt Bewegung in unsere Schützengräben. Offizier*innen überprüfen die Integrität ihrer Stellungen, Logistikdronen bringen uns neue Munition, und die Sanis transportieren unsere Verluste ab. Zwei von uns hats diesmal erwischt, die glücklichen Schweine. Der Krieg ist für sie vorbei, sie können nach Hause fliegen. Auf dem Lazarettraumschiff erwarten sie die besten Schmerzmittel der Galaxie, warmes Essen und Klospülung. Wer im Kampf gegen den Faschismus verletzt wird, darf endlich in den Ruhestand gehen, mit Ehre, Ruhm und Pension.

Die Sonne steht schon weit am Himmel, als wir auf Patrouillie ins Niemandsland geschickt werden. Wir waten durch den klebrigen Schleim hinter dem Stacheldraht, voller grauer Uniformen, einzelner Springerstiefel und durchlöcherter Helme. Die Infrarotsicht meines Visiers zeigt keine Temperatur über 30° Celsius weit und breit. Ich bin froh, dass die Gasmaske meiner Rüstung Umgebungsgerüche filtert. Mit jedem Schritt entreißen wir unsere Stiefel dem Sog der schwarzen Suppe, die einmal Faschisten war. Im Schlamm trete ich auf eine verschmierte Standarte der Nazis. Die Hakenkreuze, Totenköpfe und Adler, die sie einmal geziert haben könnten, sind vom klumpigen Matsch überdeckt. Schwer zu sagen, welcher der Toten hier sie in der Schlacht getragen hat. Zum Glück sind Fliegen in dieser Welt nicht heimisch.

Unsere Kampagne auf diesem Planeten dauert nun schon 2 Monate, ein unüblich langer Einsatz, aber nicht ungehört. Unser Sektor ist schon seit Tagen nicht mehr vorgerückt, weil die Hauptoffensive gerade woanders stattfindet. Das ist mein dritter planetarer Einsatz, der uns auf irgendeinem Felsen im Weltall absetzt, wo die grauen Horden des Faschismus geortet wurden, und für jeden Felsen den wir säubern, orten wir sie auf zwei neuen. Auf manchen Planeten finden wir so viele Faschisten, dass man bei jedem Schritt fast über sie stolpert. Sie leben in Wäldern, Feldern, Höhlen und Gebirgen, sogar in Wüsten wie dieser hier, wo es gar kein Wasser gibt.

Unser Biorhythmus beginnt gerade das Mittagessen zu fordern, da bricht auf diesem Planeten bereits wieder die Dämmerung herein. Als mein Augenlicht die zerschmetterten grauen Formen des Geländes kaum noch scharf wahrnehmen kann, schalte ich zurück auf Infrarot. Wir sind schon wieder fast in Rufweite unseres eigenen Schützengrabens, da blitzt es plötzlich glasklar rot aus den blauen Infrarotschemen eines Granatkraters. Genau 36° Celsius, Körpertemperatur. Wir nehmen einen Faschisten gefangen, der sich im Sand vergraben hatte, nur nicht gut genug.

Unser Übersetzer im Verhör interpretiert sein Zischen und Gekeife mit Worten wie „Führer“ und „Vaterland“, wie immer. Wir wissen gar nicht, wer dieser Führer sein soll. Ein Stammesführer? Ein religiöses Oberhaupt? Ein König? Wenn er überhaupt existiert, wissen wir nicht, ob wir ihn nicht schon längst in irgendeinem Erdloch getötet haben. Auch den Heimatplaneten der Faschisten, dieses „Vaterland“, kennen wir nicht. Dorthin können sie sowieso nicht zurückkehren. Die faschistische Weltraumflotte haben wir schon lange Zerschlagen, ihr interstellares Kommunikationsnetz ist länger außer Betrieb, als ich lebe. Trotzdem kämpfen sie auf jedem Planeten, auf dem wir sie finden, mit verbissener Siegesgewissheit, als hätten sie noch nie eine Schlacht verloren. Sie werfen sich immer wieder suizidal gegen unsere Linien, bis der Letzte von ihnen tot im Gras, Sand oder Schnee liegt. Offensichtlich ist ihnen das Leben nichts wert.

Es ist nur ein paar Stunden später, ein neues Morgengrauen, als die Erde anfängt wütend zu grollen und zu beben. Erst kaum merklich, dann immer intensiver, fangen die Sandkörner in meinem Erdloch an zu tanzen. Nervös blinzeln wir ins offene Feld, bereit für eine Wiederholung des gestrigen Angriffs, bevor wir merken: Das Knurren wütenden Stahls kommt von hinter unseren Linien. In einer langen Prozession marschieren kompanieweise unsere abgehärteten Schocktruppen in ihren kriegsverkrusteten Rüstungen über unsere Linien hinweg, begleitet von dutzenden Panzern, diesen tonnenschweren Metallungetümen. Die keifenden Düsenantriebe unserer über uns hinwegschwebenden Kampfjets übertönen unseren Jubel, als wir realisieren, dass die Offensive nun auch in unserem Sektor begonnen hat. Wie der Herzschlag des Marsches beginnt nun auch das Pochen unserer feuernden Artillerie, um die Stellungen der Faschisten für den kommenden Sturm aufzuweichen. Unsere Einheit hat damit ihren Fronteinsatz erfolgreich abgeschlossen. Die nächsten Wochen werden wir nur noch Kisten schleppen, das Hinterland patrouillieren und Gefangene bewachen, bevor wir den gesäuberten Planeten für den nächsten Einsatz verlassen.

Ich bin noch für 5 Kampagnen verpflichtet, bevor ich endlich auf meinen Heimatplaneten zurückkehren kann, Stolz im Wissen, etwas für den Kampf gegen den Faschismus getan zu haben, auch wenn es kein Urlaub war. Krieg ist ein ekliges Handwerk, das die Seele mürbe macht, aber Blut, Schweiß und Tränen sind ein geringer Preis für eine bessere Welt. Wir wollen den Krieg nicht, aber man kann den Krieg nur durch den Krieg abschaffen. Solang die Faschisten zu den Waffen greifen, werden wir das erwidern. Egal auf wie vielen Planeten, in wie vielen Sonnensystem sie ihre Fratze zeigen, wir stehen gegen sie Seite an Seite: Wir werden sie jagen.


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